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PatientInnenkunst

€ 19

Beschreibung

Pati­en­tIn­nen­kunst aus der ehe­ma­li­gen Lan­des­heil- und Pfle­ge­an­stalt Nie­dern­hart, anläss­lich der Aus­stel­lung Extra­or­dinaire!” im Lentos Kunst­mu­se­um Linz, 7.6. – 18.8.2019, Hem­ma Schmutz, Bri­git­te Reut­ner (Hg.), 64 Sei­ten, tw. farb. Abbil­dun­gen, Softcover.

[Die­se Publi­ka­ti­on erscheint anläss­lich der Aus­stel­lung Extra­or­dinaire! Unbe­kann­te Wer­ke aus psych­ia­tri­schen Ein­rich­tun­gen in der Schweiz um 1900 – ergänzt um Wer­ke aus Österreich.]

(…) In Linz wur­de bereits 1788 eine ers­te Psych­ia­trie“ im soge­nann­ten Pru­n­er­stift errich­tet. Mit­te des 19. Jahr­hun­derts wur­de aller­dings in die­ser inner­städ­ti­schen Ein­rich­tung ein ange­mes­se­nes Heil­ver­fah­ren unmög­lich, da es an erfor­der­li­chen Räu­men für Klas­sen­ab­tei­lun­gen, not­wen­di­gem Grund und Boden, gutem Was­ser, Abge­schie­den­heit, einer Gele­gen­heit zur Beschäf­ti­gung und freund­li­chem‘ Auf­ent­halt“ fehl­te. Ein Neu­bau am Stadt­rand wur­de 1867 eröff­net. Die neue Anstalt in Nie­dern­hart erfüll­te alle damals ein­ge­for­der­ten Bedin­gun­gen: Lage in einer gesun­den, ange­neh­men Land­schaft und doch zen­trums­nah, aus­rei­chend Grund und gutes Was­ser, hohe, gut belüft­ba­re Räum­lich­kei­ten.“ In der Anstalt gab es eine Küche, eine Wäsche­rei, Fleisch­haue­rei, Bäcke­rei, Schlos­se­rei, Gärt­ne­rei und Zim­me­rei. Das soge­nann­te Kern-Gut ver­sorg­te die Anstalt mit land­wirt­schaft­li­chen Gütern. Die Pati­en­tin­nen wur­den von geist­li­chen Schwes­tern vom Orden des hl. Vin­zenz von Paul betreut, Pati­en­ten wur­den von welt­li­chen Pfle­gern ver­sorgt. Sofern es ihr gesund­heit­li­cher Zustand erlaub­te, soll­ten die Pati­en­tIn­nen in allen Berei­chen der Anstalt und vor allem in der Land­wirt­schaft tätig sein. Aus man­chen Kran­ken­ak­ten geht her­vor, dass die Anstalts­in­sas­sen aber lie­ber eige­nen Beschäf­ti­gun­gen nach­ge­hen woll­ten. Ein sol­cher Eigen­an­trieb war nicht beson­ders geschätzt. Künst­le­ri­sches Schaf­fen wur­de in der dama­li­gen Zeit gene­rell nicht durch die Ärz­te geför­dert. Die in den Kran­ken­ak­ten gefun­de­nen Expo­na­te waren meis­tens Brie­fe an die Ange­hö­ri­gen oder Brief­bei­ga­ben. Pati­en­tIn­nen­brie­fe wur­den in der Anstalt nicht abge­sandt, son­dern in den Kran­ken­ak­ten abgelegt.
Der dama­li­ge Pri­mar in Nie­dern­hart war Franz Schnopf­ha­gen (1848 – 1925). Er lei­te­te die Anstalt von 1880 bis 1925, also 45 Jah­re lang. Der Arzt wur­de von den Pati­en­tIn­nen sehr ver­ehrt und genoss auch in der Ärz­te­schaft gro­ße Ach­tung. Der geschätz­te Anstalts­lei­ter ließ kei­ne Ver­bes­se­rung auf dem Gebiet der Pfle­ge und Behand­lung der Geis­tes­kran­ken unge­nützt […]“. Er führ­te als einer der Ers­ten die Fie­ber­the­ra­pie (Mala­ria­be­hand­lung) bei pro­gres­si­ver Para­ly­se durch. Auch Schnopf­ha­gen war – wie vie­le sei­ner Kol­le­gen in ande­ren psych­ia­tri­schen Anstal­ten – in ästhe­ti­schen Din­gen Laie. In der Kran­ken­ge­schich­te wur­de, wenn über­haupt, nur erwähnt, dass der jewei­li­ge Pati­ent oder die Pati­en­tin sich zum Bei­spiel mit Zeich­nen, Sti­cken etc. befass­te. Kunst­the­ra­pie – wie man sie heu­te ver­steht – gab es damals noch nicht. Bereits zu dem Zeit­punkt, als die Zeich­nun­gen gesam­melt wur­den, konn­te kein ästhe­ti­scher Dis­kurs zwi­schen den Pati­en­tIn­nen und dem behan­deln­den Arzt stattfinden.
Brie­fe, Kon­struk­ti­ons­zeich­nun­gen, Hand­ar­bei­ten (Sti­cke­rei­en in Brie­fen und auf Zei­tungs­pa­pier, mit einer Nadel per­fo­rier­te Brieft­ex­te), Zeich­nun­gen und schrift­li­che Nota­te zäh­len also zu den bis dato auf­be­wahr­ten Arte­fak­ten. Als Bei­la­ge zur Kran­ken­ge­schich­te soll­ten sie die Dia­gno­sen der Ärz­te stüt­zen. Sie geben Auf­schluss über das Leben in der Anstalt aus der Sicht der Pati­en­tIn­nen, über per­sön­li­che Nei­gun­gen und über ihr indi­vi­du­el­les Leid und Schick­sal. Pati­en­tin­nen befass­ten sich auch mit tex­ti­len Erzeug­nis­sen. Ab 1913 gab es zwei Näh­ma­schi­nen in der Anstalt. Ab den 1930er-Jah­ren wur­den sol­che Hand­ar­bei­ten auch in meh­re­ren Aus­stel­lun­gen prä­sen­tiert. Sie blie­ben aller­dings nicht erhal­ten; ihre künst­le­ri­sche Qua­li­tät kön­nen wir dem­nach heu­te nicht mehr feststellen. (…)
Seit der Ein­füh­rung des Begriffs Art brut“ wird dar­an fest­ge­hal­ten, dass Kunst nicht nur im geleh­ri­gen“ Umfeld ent­steht. Sie kann auch nicht allein nach der meis­ter­haf­ten Beherr­schung der jeweils ange­wand­ten Tech­nik beur­teilt wer­den. Kri­te­ri­en, die die krea­ti­ve Umset­zung einer Bot­schaft in den Vor­der­grund rücken, ste­hen daher im Fokus. Die ästhe­ti­sche und gesell­schafts­re­le­van­te Aus­sa­ge des jewei­li­gen Wer­kes und nicht so sehr die Bio­gra­fie oder Kran­ken­ge­schich­te des Urhebers/​der Urhe­be­rin soll­te zen­tra­ler Aus­gangs­punkt einer kri­ti­schen Beur­tei­lung sein. Krea­ti­ve Arbei­ten aus psych­ia­tri­schen Kli­ni­ken sind wich­ti­ge kunst- und kul­tur­his­to­ri­sche Doku­men­te; sie spre­chen uns oft­mals ästhe­tisch an und wir kön­nen viel aus ihnen erfah­ren. Sie eröff­nen uns einen Zugang zu einer Welt, die bis vor Kur­zem einem klei­nen Kreis von Ein­ge­weih­ten“ vor­be­hal­ten blieb.
Mit der Ent­de­ckung die­ser Kunst­wer­ke und ihrer Ber­gung aus den Kran­ken­ak­ten möch­ten wir jenen Men­schen eine Stim­me ver­lei­hen, die in ihrer Zeit kaum eine Chan­ce erhiel­ten, gehört zu wer­den. Sie sind nun – spät, aber doch – zu den Prot­ago­nis­tIn­nen einer Aus­stel­lung und die­ser Publi­ka­ti­on geworden.

ISBN
ISBN 978−3−99028−873−3
Ver­lag
artedi­ti­on Ver­lag Biblio­thek der Provinz
Spra­che
deutsch
Maße
20×34 cm

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